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Igor Vinicius Ramos Otero hat als Doktorand ein Jahr am TUM-Campus Straubing verbracht

Von Monika Schneider-Stranninger, erschienen im Straubinger Tagblatt am 27.04.2021

Es war sein erster Aufenthalt in Europa. Ein Auslandsjahr auf dem Weg zur Promotion wollte Igor Vinicius Ramos Otero in Deutschland verbringen. Er ist gerade dabei, seinen Doktor in angewandter Mikrobiologie zu machen. Die TU München ist dafür erste Adresse, besonders der Lehrstuhl Chemie biogener Rohstoffe von Prof. Volker Sieber am Straubinger Campus. Nicht ahnen können hat der 30-jährige Brasilianer aus dem Bundesstaat Mato Grosso do Sul, dass das ganze Jahr von der Coronapandemie und Lockdowns geprägt sein würde.

Igor hat sein bisheriges Studium an der Universität von Sao Paulo absolviert. Prof. Sieber habe einen hervorragenden Ruf auf dem Gebiet, mit dem er sich in seiner Doktorabeit befasst. So ist Igor auch an den Aufenthalt in Straubing gekommen. Sieber sei in engem Kontakt mit seiner Universität und habe eine deutsch-brasilianische Kooperation angestoßen. In diesem Rahmen hat er sich beworben. „Und bekam prompt eine Zusage“, sagt er lachend.

Igor Vinicius Ramos Otero in einem Labor des Lehrstuhls für Chemie biogener Rohstoffe am TUMCS.

Igor Vinicius Ramos Otero in einem Labor des Lehrstuhls für Chemie biogener Rohstoffe am TUMCS. Foto: Otero

Straubing sagte ihm natürlich erst mal gar nichts. Online-affin wie Brasilianer sind – viel mehr als wir Deutsche – hat er erst einmal Google Maps bemüht. Und ein paar Online-Videos im Internet aufgerufen. „Leider nur komplett in Deutsch.“ Was er gesehen hat, hat ihm allerdings gut gefallen. „Lovely“, sagt er. Am TUM Campus Straubing konnte er sich mühelos in Englisch verständigen, ohnehin die Wissenschaftssprache.

Wohngemeinschaft nah am Campus

Eine Unterkunft vermittelt hat ihm der Lehrstuhl, der ihm einen gerade ebenfalls hier tätigen Südamerikaner, Edilberto Cabrera aus Peru, an die Seite gegeben hat. Auf diese Weise konnte Igor in eine Wohngemeinschaft ziehen, nur einen Katzensprung vom Campus entfernt. Mit Englisch ist er überall durchgekommen. Auch beim Einkaufen, obwohl er anfangs kein Wort Deutsch konnte. „Die meisten Leute sprechen Englisch, freuen sich, wenn sie es anwenden können oder versuchen bereitwillig, mit Händen und Füßen Wege der Verständigung zu suchen“, so sein Eindruck. Zwischenzeitlich lernte er das Nötigste, Zahlen, Grußformeln, „Servus“, „Grüß Gott“… – „Das freuen sich die Verkäufer“, sagt er.

Auch mit Bayerisch hat er Erfahrungen gemacht. „Schwierig“, so sein Fazit. Es hat ihn verblüfft, dass es hier so viele Dialektausprägungen gibt. Schon in relativ geringer Entfernung höre es sich wieder ganz anders an. Das kenne man in Brasilien nicht, da gebe es keine Dialekte, Akzente aber sehr wohl. Gut Freund geworden ist er mit der bayerischen Küche, Schnitzel in allen Variationen, die Wurstvielfalt und Sauerkraut stehen bei ihm hoch im Kurs. Nur mit „Obatzda“ fremdelt er. Der ist ihm suspekt geblieben.

Sieben Verwandte corona-infiziert gewesen

Angekommen ist Igor im März 2020, genau mit dem ersten Corona-Lockdown. Die Situation in Brasilien hat er von Straubing aus mitverfolgt. Die schlimme Zuspitzung. Problematisch und traurig, sagt er, verweist auf die vielen Krankheits- und Todesfälle, die politisch heikle Situation in seiner Heimat, auf Fake News. Sieben seiner Verwandten seien zwischenzeitlich erkrankt, der Großvater habe ins Krankenhaus gemusst. „Bei uns kennt eigentlich jeder jemanden, der sich infiziert hat und schwer krank wurde.“

Leider Neuschwanstein nicht gesehen

Für seinen Aufenthalt in Straubing habe Corona wenigstens ein Gutes gehabt, „es war gut für meine Arbeit, wenig Ablenkung. Ich konnte mich darauf voll konzentrieren.“ Im Sommer 2020 habe sich die Lage entspannt. Da hat Igor mit den neu gewonnenen Freunden mehrfach Biergärten besucht und seine Lieblings-Joggingstrecke genossen, entlang des Moosmühlbaches. Im Gäuboden den Sonnenuntergang zu beobachten. In seinen Augen unschlagbar. „Ich liebe das.“ In Straubing heißt es oft kritisch, man lebe zwar am Fluss, aber nicht mit ihm. Igor hat es anders empfunden. Er habe noch nie einen Fluss so nah gehabt, eine so enge Verbindung zur Natur. Was er sehr bedauert, ist, dass Corona ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, das Schloss Neuschwanstein zu besuchen. „Das wär mein Traum gewesen.“ Das war wie bei allen Brasilianern ganz oben auf seiner Wunschliste. Aber er hatte immerhin Gelegenheit, Regensburg, Passau und Prag kennenzulernen.

Immerhin, eines hat manchen coronobedingten Verzicht wettgemacht. Igor hat zum ersten Mal Schnee erlebt. „Magisch“, schwärmt er. In Brasilien sei es ganzjährig entweder heiß oder regnerisch, es gebe nur ganz wenige Städte in den Bergen, die Temperaturen unter null Grad haben und das allenfalls ein paar Tage im Jahr. „In Deutschland gibt es vier Jahreszeiten, die man auch als solche wahrnimmt“ Igor konnte allen etwas abgewinnen, besonders dem Herbst, wenn die Blätter sich färben. Ganz besonders hat ihn die Leidenschaft beeindruckt, mit der viele Leute hier ihre Gärten hegen und pflegen. Und dass Senioren hier so aktiv sind, auch sportlich, mit Walken, Fahrradfahren.

In Brasilien zahlt man jeden Kaffee mit Karte

Vermisst hat er natürlich seine Familie, Freunde. Gut, dass es Skype gebe und Whatsapp. In Brasilien sei das noch weitaus verbreiteter als hier, so seine Erfahrung. „Wir sind ständig vernetzt.“ Deutlich anders sei in Deutschland auch, dass hier noch viel bar gezahlt werde. In Brasilien wird sogar der Kaffee schon mit Karte gezahlt oder via Smartphone.

Diesen Montag hat Igor die Heimreise angetreten. Von München aus über Lissabon nach Sao Paulo. Es sei nicht schwer gewesen, einen Flug zu bekommen, sagt er. Vor dem Abflug muss er einen negativen PCR-Test vorweisen. Und er rechnet mit sieben Tagen Quarantäne. „Ein Jahr vorbei. Es fühlt sich an, als wäre ich erst gestern angekommen.“ Ein Jahr, so schätzt er, werde er noch bis zum Abschluss seiner Promotion brauchen. Er peilt eine Laufbahn an der Uni an, womöglich aber auch in der Industrie.

„Ich habe einen guten Grund, ja viele gute Gründe, zurückzukommen“, sagt er lachend. Er ist sicher, er hat in Straubing Freunde fürs Leben gefunden. Und schließlich will er auch einmal das Gäubodenvolksfest erleben, von dem ihm so viel vorgeschwärmt wurde.