Das Projekt ADDONISS der TUM-Studenteninitiative WARR Space Labs ist am Mittwoch zur Internationalen Raumstation ISS gestartet. Das Team erforscht neuronale Zellkulturen in der Schwerelosigkeit. An dem Experiment ist mit Selina Kanamüller (22) auch eine Studentin des TUM Campus Straubing (TUMCS) beteiligt. Im Interview spricht sie über ihre Erlebnisse in Cape Canaveral und den Nutzen des Versuchs für die Alzheimer-Forschung.
Frau Kanamüller, wie kommt es dazu, dass Sie als Studentin des TUM Campus Straubing an einem Projekt beteiligt sind, das ein Experiment zur Internationalen Raumstation ISS schicken darf?
Selina Kanamüller: Unsere Studenteninitiative WARR Space Labs verfolgt das Ziel, biologische Versuche unter Weltraumbedingungen durchzuführen. Die WARR ist die Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt und wurde bereits in den 1960er-Jahren gegründet. Seitdem haben sich verschiedene Untergruppen gebildet, die sich etwa mit dem Bau von Raketen, Satelliten, Weltraumaufzügen und Rovern beschäftigen. Das jüngste Team ist WARR Space Labs. Meine Kommilitonin Nina Zistler hat den Termin zum Gründungstreffen von WARR Space Labs in einer Campus-WhatsApp-Gruppe vorgestellt. Ich war neugierig und habe mich digital zum Treffen zugeschaltet.
Und seitdem sind Sie Teil eines interdisziplinären Teams aus Studierenden aus über sieben verschiedenen Studienrichtungen von Biochemie bis Physik und Informatik.
Vereint sind wir durch unsere gemeinsame Faszination für den Weltraum. 2021 haben die Deutsche Raumfahrtagentur (DLR) und die Luxembourg Space Agency (LSA) den Wettbewerb „Überflieger 2“ ausgeschrieben, auf den sich Space Labs mit dem Alters- und Demenzforschungsprojekt ADDONISS (Ageing and Degenerative Diseases Of Neurons on the ISS) beworben hat. Wir gehörten zu den vier Siegerteams und durften nun unser Experiment in den Weltraum schicken.
In der Nacht zu Mittwoch, 15. März startete dann die Falcon 9-Trägerrakete des Unternehmens SpaceX mit Ihrem Experiment an Bord vom Weltraumbahnhof Richtung ISS. Wie haben Sie den Abflug und die vergangenen Tage in Cape Canaveral miterlebt?
Unser Experiment, in dem wir in einem sogenannten Cube sechs neuronale Zellkulturen in Mikrogravitation untersuchen, haben wir bereits am Sonntagabend an unsere Supportfirma Yuri und den Implementationspartner Space Tango übergeben, die sich um die Integration des Versuchs in die Falcon 9 gekümmert haben. Die Tage zuvor waren sehr arbeitsintensiv. Beim Start der Trägerrakete herrschte eine gewisse Vorfreude, aber auch Anspannung. Kurz zuvor wurde eine Weltraum-Mission aufgrund eines technischen Fehlers verschoben. Eine Verspätung wäre für unseren Zellkulturversuch suboptimal gewesen. Allerdings verlief der Start problemlos und war für uns doch recht emotional: ein bewegender Moment nach eineinhalb Jahren harter Arbeit.
Warum müssen Sie das Experiment ausgerechnet im All anwenden?
Ein Fokus des Versuchs liegt darauf, Anzeichen von Zellalterung zu erkennen, da Alterungsprozesse in der Schwerelosigkeit schneller ablaufen als auf der Erde. Das zeigt die bisherige Forschung auf der ISS. Wir nutzen diese Bedingungen auf der Raumstation und untersuchen neurodegenerative Erkrankungen des Gehirns wie Alzheimer. Dazu messen wir elektrische Signale von Gehirnzellen unter den Umgebungsbedingungen im Weltraum. Ein Teil der Zellkulturen behandeln wir mit einem Protein, das bei Alzheimer eine wichtige Rolle spielt. Mit den Daten ergeben sich dann neue Möglichkeiten, die Alzheimerforschung auf der Erde vorantreiben. Besonders ist, dass oftmals biologische Experimente in der Raumfahrt eingefroren werden müssen, um sie im Nachgang auf der Erde analysieren zu können. Durch die Überwachung der Zellen auf der ISS mithilfe von Micro Electrode Arrays (MEAs) sind in unserem Versuch Messungen ohne menschliche Einwirkung direkt auf der ISS möglich.
Wer von der TUM ist an diesem Experiment beteiligt?
Insgesamt arbeiten 18 Studierende der TUM an dem Projekt, darunter mit Nina Zistler und Niklas Hofer zwei weitere Studierende des TUM Campus Straubing. Für die Konzeption, Planung und Vorbereitung des Experiments verbrachten wir viel Zeit in den Laboren am Campus Straubing und wurden tatkräftig von Dr. Corinna Urmann (Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Campus Straubing) unterstützt.
Würde Sie nach Ihrem Studium ein Job in der Raumfahrt reizen?
Auf jeden Fall! Es gibt sehr viele interessante biologische Forschungsgebiete in der Raumfahrt. Durch die Zeit hier vor Ort im Kennedy Space Center in Florida und durch ADDONISS haben wir viele Kontakte knüpfen können und tolle Menschen getroffen, die uns wertvolle Einblicke in ihre biologische Forschung im Weltraum gegeben haben.