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Im Bereich von Synthesen und Stoffumwandlungsprozessen werden laufend neue Verfahren benötigt, um Kraftstoffe, Pharmazeutika, Kunststoffe und andere Wertstoffe herzustellen. Jedes Verfahren setzt sich aus einer Vielzahl von Teilschritten zusammen, die in einem kreativen Designprozess miteinander kombiniert werden müssen. Die computergestützte Prozesssynthese ist dabei seit Jahrzehnten ein wichtiges Gebiet der Verfahrenstechnik. Forschern am TUM Campus Straubing ist es nun gelungen, neuartige Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) zu entwickeln, die Designvorschläge für chemische Verfahren erstellen können. Die KI verfügt über keinerlei verfahrenstechnisches Wissen und ist in der Lage, diese Zusammenhänge selbständig zu lernen.

„Das Design technischer Anlagen und Produkte ist eine kreative Aufgabe, die bislang dem Menschen vorbehalten war. Die großen Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens werfen die Frage auf, inwiefern auch moderne KI-Verfahren neue Designvorschläge erstellen können“, sagt Prof. Dominik Grimm, Leiter der Professur Bioinformatik der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) am TUM Campus Straubing (TUMCS).

Fließbilder

         Beispiele für Fließbilder während des Trainingsprozesses. (Grafik: Quirin Göttl/TUMCS)

Mit den neuartigen Methoden der KI wird nicht nur Zeit eingespart. „Wir beobachten in zahlreichen Beispielanwendungen auch, dass die KI Designvorschläge macht, auf welche ein Mensch nie gekommen wäre. Genau diese Überraschungen sind besonders spannend“, sagt Prof. Dominik Grimm. Er forscht gemeinsam mit Prof. Jakob Burger, Leiter der Professur Chemische und Thermische Verfahrenstechnik am TUMCS, seit Längerem am sogenannten Reinforcement Learning, einem Teilbereich des maschinellen Lernens. Dieser ermöglicht es, eine KI dahingehend zu trainieren, selbstständig eine bestimmte Problemstellung zu lösen. Dieses gemeinsame Projekt der beiden Professuren nutzt und erweitert dieses Konzept, um den Planungsprozess für die Synthese verfahrenstechnischer Fließbilder zu unterstützen. Die ersten Ergebnisse dieses Projekts sind vor Kurzem im Journal Frontiers of Chemical Science and Engineering veröffentlicht worden.

Der Trainingsprozess benötigt keinerlei Eingriffe von außen

Darin wird die Aufgabe, ein Fließbild zu erstellen, beispielhaft in ein Zwei-Spieler-Spiel umformuliert: Beide Spieler starten bei derselben Ausgangssituation und versuchen, schrittweise einen profitableren Prozess als der Gegner zu konstruieren. Am Ende des Spiels wird der Sieger über eine vorher festgelegte Kostenfunktion ermittelt. Die KI lernt, selbstständig Fließbilder zu erstellen, indem sie dieses Spiel fortlaufend gegen sich selbst spielt. Durch die Formulierung als Zwei-Spieler-Spiel wird die KI motiviert, nach immer besseren Prozessalternativen zu suchen. Der Trainingsprozess benötigt keinerlei Eingriffe von außen und die KI ist mit keinerlei Vorwissen oder Heuristiken über Verfahrenstechnik ausgestattet.

Diese Methodik wollen die beiden Professuren in Zukunft noch verfeinern, um kompliziertere verfahrenstechnische Problemstellungen zu lösen. Zudem werden im Zuge des Projekts Anwendungen des Zwei-Spieler-Spiels auf beliebige Planungsprozesse außerhalb der Verfahrenstechnik evaluiert.

Die Forschungsarbeiten des Teams wurden jüngst von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ausgewählt und werden nun in einem Drei-Jahres-Projekt gefördert. Das Projekt ist Teil des DFG-Schwerpunktprogramms „Machine Learning in Chemical Engineering“, in dem vielversprechende Projekte gebündelt werden, welche Methoden des maschinellen Lernens zur Fortentwicklung der Verfahrenstechnik einsetzen.

Der Artikel ist hier zu finden: https://link.springer.com/article/10.1007/s11705-021-2055-9